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Das Schicksal der Waffen und Rüstungen aus dem Rüstsaal der Wartburg bei Eisenach
- Beutekunstraub oder Entmilitarisierung?

Eine Recherche von Hans-Joachim Rehm und Renate Sabrowsky

Der Weg der Waffen – Die „Entmilitarisierung“ einer mittelalterlichen Burg

Wer als Kind oder Jugendlicher noch das Glück hatte, den Rüstsaal der Wartburg zu besuchen, wird sich aufgrund des starken Eindrucks auch heute noch gerne an diese alte Pracht erinnern: ein gewaltiger Saal voller Ritter in prächtigen Rüstungen, einige hoch zu Ross, galoppierende Pferde. In Dunkelheit hätte man sich alleine nie in diese Halle gewagt!

Am 8. Februar 1946 fand jedoch diese Rüstsammlung von europäischem Rang – es soll die fünftgrößte Rüstsammlung der Welt gewesen sein – ein jähes Ende: innerhalb eines Tages wurde in einer Blitzaktion der gesamte Bestand von ca. 900 Ausrüstungsgegenständen von der Roten Armee beschlagnahmt und ausgeräumt. Damit war diese mittelalterliche Burg „entmilitarisiert“, d.h. ausgeplündert worden. Über das Schicksal der Rüstsammlung soll nun eine kurze chronologische Bilanz gezogen werden.

Anmerkung: Die Bezeichnung für den Waffensaal der Wartburg änderte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts mehrmals: “Rüstkammer”, “Rüstsaal” und “Rittersaal”. Hier wird er durchgehend als “Rüstsaal” bezeichnet.

Eine kurze Entstehungsgeschichte des Rüstsaales

Bauakten der Wartburg weisen bis in das 16. Jahrhundert hinein den Waffenbestand der Wartburg detailliert aus. So erfahren wir von 10 Hellebarden und 10 Hakenbüchsen im Jahre 1518 und 1526 bereits von einem Bestand von zwei Falkonetten, zwei Steinbüchsen und 22 Hakenbüchsen. 1553 werden in einem Inventarbericht des Büchsenmeisters Matthias Stutzer aus Gotha – neben zahlreichen Kugeln und großen Mengen Pulver für ein Falkonett und zwei Serpentinen – 47 Halbhaken, 37 lange Spieße mit Eisen, 424 lange Spieße ohne Eisen, 52 Helmbarten sowie 17 Sturmkolben genannt (1).

Anfang des 19. Jahrhunderts wird die Hofwagnerei in das Weimarer Zeughaus verlegt und so gelangen auf Anordnung des legendären Großherzogs Carl August eine große Anzahl von Harnischen für Ritter und Pferde auf die Wartburg.
In seiner 1837 erschienenen topographisch-historischen Beschreibung von Eisenach sowie der Wartburg, listet der Rentkommisar und Chronist Johann Wilhelm Storch detailliert den damaligen Bestand an Ritterrüstungen, Pferdeharnischen, Kürassen mit Helmen, Pickelhauen, Streithämmern, Degen, Ritterschwertern, Wolfsgabeln, Falkonetten, Gewehren, Musketen, Karabinern, Schilde, Fahnen und Standarten auf, die im Landgrafenzimmer und im Waffensaale zunächst untergebracht wurden (2).
Der Bestand an Waffen und Rüstungen der Wartburg war damit deutlich angewachsen. Die Rüstsammlung erfährt 1839 noch einen Zuwachs durch den Ankauf hölzerner Pferde, um besonders die prachtvollen Pferdeharnische effektvoll präsentieren zu können.

Bereits seit 1832 erfolgte eine systematische Instandsetzung und Pflege der Rüstungen unter der Aufsicht des Kammerrates Storch, sodass die Rüstungen regelmäßig von Rost befreit und mit Fett konserviert wurden. Für diese Aufgaben wurde der Eisenacher Schlossermeister Wilhelm Demmer verpflichtet und erhielt einen jährlich zu bestimmenden Lohn (3).

Nebenbei soll noch bemerkt werden, dass dieser Schlossermeister Demmer einer seit 1627 in Eisenach nachweisbaren Schlosserhandwerker-Dynastie entstammte. Die Nachfahren dieses Schlossermeisters legten die Grundlagen für den Beginn der Eisenacher Metallindustrie und schufen mit den Demmer-Werken einen Großbetrieb mit weltweitem Export für Zentralheizungen und Herde. Sie expandierten sogar bis nach Wien, wo sie eine Lokomotivfabrik errichteten. Damit waren sie maßgeblich an der wirtschaftlichen Entwicklung Eisenachs beteiligt. Dies wurde ihnen 1946 durch die neuen Machthaber damit „belohnt“, dass die Demmer-Werke entschädigungslos enteignet und ihr Vermögen eingezogen wurde (4).

Der Bau der Dirnitz – endgültiger Ausstellungsort der Museumsstücke

Mit dem Bau der Dirnitz auf alten Fundamenten und Kellergewölben in den Jahren 1866-1867, wurde mit dem im Erdgeschoss errichteten Rüstsaal der endgültige Aufenthaltsort für Waffen und Rüstungen der Wartburg geschaffen. Dieser Rüstsaal war doppelgeschossig, eine Empore in halber Höhe des Saales umzog die Nord- und Ostseite.
In der Westseite befanden sich drei hohe, dreigeteilte neogotische Fenster mit neun gemalten runden Scheiben aus dem 16. Jahrhundert. Davon zeigten fünf runde Scheiben die Wappen von Nürnberger Patriziern; die nördlichste war besonders interessant, denn sie stammte von Kaiser Maximilian I., dem „letzten Ritter“ (1493-1519). Sie diente ihm als Vorlage für Glasgemälde zur Ausschmückung eines seiner Jagdschlösser (5).

Zu den geschichtlich bedeutsamen und besonders schönen, künstlerisch und waffentechnisch ganz hervorragenden Ausstellungsstücken gehörte ein ganzer geätzter und vergoldeter Prunkharnisch, eine französische Arbeit um 1550. Es war eine Rüstung, die König Heinrich II. von Frankreich im Jahre 1552 dem Kurfürsten Moritz von Sachsen geschenkt hatte.
Daneben befanden sich auch zahlreiche Prunk- und Turnier-Harnische für Ross und Reiter aus Nürnberger und Augsburger Plattner-Werkstätten (z.B. Kunz Lochner und Wilhelm von Worms, beide aus Nürnberg).

Der Rüstsaal wurde im August 1867 eingeweiht und bot nun die Möglichkeit einer prächtigen und effektvollen Präsentation der Ausstellungsstücke. Am 28. August 1867 erklärte der 1. Wartburghauptmann Bernhard von Arnswald u.a.: „Die Großherzogliche Rüstkammer auf Wartburg zählt ohnstreitig zu den bedeutendsten des deutschen Vaterlands, ja des ganzen Europas. Verhältnismäßig enthält dieselbe mehr Trutz- als Angriffswaffen“ (6).
Von Anfang an dominierten also mehr Verteidigungs- als Angriffswaffen. Bei den Harnischen für Ross und Reiter handelte es sich meist um Prunk- und Turnier-Harnische. Dies festzustellen, hat eine besondere Bedeutung im Hinblick auf das weitere Schicksal des Rüstsaals der Wartburg.

Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Waffen und Rüstungen der Wartburg auf eine für die damalige Zeit einzigartige und vorbildliche Weise dokumentiert. Von Dr. Alfons Diener-Schönberg wurde ein Katalog der Waffen der Wartburg erstellt, der 78 „Lichtdrucktafeln“ enthielt, die der Oberburghauptmann der Wartburg, Hans Karl Lucas von Cranach, der „letzte Romantiker und Vollender der Wartburgerneuerung“ (so Hermann Nebe) angefertigt hatte (7).
Dieser Katalog, 1912 im Historischen Verlag Max Baumgärtel erschienen, enthielt neben den Waffen auch ihre dazugehörigen Meister- und Beschaumarken der jeweiligen Plattner bzw. Plattner-Werkstätten. Dies spielt heute eine große Rolle bei der Fahndung nach den Waffen und ihrer Identifizierung, außerdem haben wir damit ein einzigartiges Beweismittel in der Hand.

Die „Entmilitarisierung“ der Wartburg nach dem 2. Weltkrieg

Im Frühjahr 1945 marschierten die amerikanischen Streitkräfte in Eisenach ein. Sie verblieben dort nur einige Monate und wurden nach ihrem Abzug aus Thüringen aufgrund Alliierter Vereinbarungen von der Sowjetischen Besatzungsmacht abgelöst.

Es sind keinerlei Berichte darüber bekannt, dass es zu einer bedeutsamen Plünderung des Rüstsaals der Wartburg durch die amerikanische Besatzungsmacht gekommen sei.
Am 8. Februar 1946 jedoch wurden auf Befehl und unter Kontrolle der Roten Armee sämtliche im Rüstsaal der Wartburg aufbewahrten Rüstungen, Flaggen und Fahnen sowie historischen Waffen in einer Blitzaktion beschlagnahmt, abtransportiert und in dem früheren Ballhaus „CLEMDA“ zwischengelagert. Insgesamt handelte es sich um eine Ausraubung von ca. 900 historischen Museumsgegenständen.
Über den genauen Ablauf dieser Aktion sind wir durch den ehemaligen Vermessungstechniker am Eisenacher Stadtbauamt, Kurt Oertel, sehr genau informiert, da er einer Aufforderung folgend an der restlosen Ausräumung des Rüstsaales unmittelbar teilnehmen musste. Seine Beobachtungen und Erlebnisse brachte er ausführlich zu Protokoll, das er im Jahre 1981 dem Herausgeber von „Wartburgland“, Herrn Dr. Henning, zur Verfügung stellte, der es 1991 veröffentlichte (8).

Die zwielichtige Rolle des Ministers Dr. Walter Wolf und der verzweifelte Kampf des Oberbürgermeisters Werner Fischer

Bereits am 28. Februar 1946, also nur drei Wochen nach der Beschlagnahme der Ausrüstungsgegenstände des Rüstsaales der Wartburg, fand eine Sitzung des Verwaltungsausschusses der Wartburgstiftung in Weimar statt. In dieser Sitzung legte der Landesdirektor Dr. Wolf ein Konzept für den „kulturellen Wiederaufbau Deutschlands“, insbesondere unter der Heranziehung der Wartburg, vor. Er erklärte schon damals kategorisch, dass die Waffensammlung keinesfalls jemals wieder zur Aufstellung gelangen würde, selbst wenn sie wider Erwarten erhalten bliebe. Der freigewordene Rüstsaal müsse für „kulturelle“ (sprich propagandistische) Zwecke ausgenutzt werden (9).

Da zu diesem Zeitpunkt bereits ein Abtransport der in der „CLEMDA“ noch vorhandenen Ausrüstungsgegenstände in die Sowjetunion drohte, begann der damalige Oberbürgermeister von Eisenach, Werner Fischer (1946-1953), einen verzweifelten und außerordentlich mutigen Kampf, um dies zu verhindern.
Er hatte ein gutes Verhältnis zu den höheren Offizieren der Eisenacher Kommandantur, die ihm sogar erklärten, dass sie froh seien, wenn sie die Gegenstände loswerden würden. Sie könnten ihm die Rüstungen etc. allerdings nicht ohneweiteres zurückgeben; zuvor müsse abgeklärt werden, ob die Gegenstände unter das sogenannte „Entmilitarisierungsgesetz“ fallen würden.
Am 1. Februar 1947 wurde dem OB Fischer handschriftlich durch den Chefdolmetscher der Kommandantur Eisenach empfohlen, einen begründeten Antrag auf Rückgabe der Rüstungen und alten Waffen durch das Ministerium für Volksbildung in Weimar an die SMA (Sowjetische Militäradministration) richten zu lassen. Die Sammlung befinde sich noch in Eisenach (10).

Oberbürgermeister Fischer, der nachweisen konnte, dass Museumsstücke und Gegenstände von historischem Wert nicht unter das Gesetz Nr. 43 der Alliierten Kontrollbehörde (Kriegsmaterial) fallen, hat daraufhin mehrmals mit dem nun zwischenzeitlich zum Minister mutierten Dr. Wolf vom Ministerium für Volksbildung in Weimar Kontakt aufgenommen, um Dr. Wolf dazu zu bewegen, über einen Antrag an die SMA eine Rückgabe der Ausrüstungsgegenstände zu erwirken.

Nach mehreren vergeblichen Vorstößen bei Minister Dr. Wolf, teilte ihm dieser am 21.2.1947 gegen 20.50 Uhr persönlich in einem Telefonat mit, dass er sich mit Herrn Gardegeneral Kolesnitschenko in Verbindung gesetzt und die Belange des Oberbürgermeisters vorgetragen habe, jedoch trotz seiner starken Bemühungen bedauerlicherweise keine Freigabe der Rüstungen usw. erreichen konnte. Zuvor hatte am gleichen Tage Dr. Wolf bereits schon einmal dem Oberbürgermeister von Eisenach persönlich und geradezu bedrohlich mitgeteilt, dass er nicht glauben solle, dass jemals wieder derartige Gegenstände, wie Rüstungen usw. im Rittersaal der Wartburg oder sonstwo für die Öffentlichkeit zur Schau gestellt würden (11).

OB Fischer hat daraufhin resigniert und völlig demoralisiert weitere Versuche, den Abtransport der Ausrüstungsgegenstände des Rüstsaals der Wartburg zu verhindern, aufgegeben. In einem handschriftlichen Protokoll erklärte er: „Damit betrachte ich meine Bemühungen, die an höchster Stelle gescheitert sind, als abgeschlossen und quittiere den Inhalt des ehemaligen Rittersaales als Verlust für die Nachwelt.“ Mit dieser düsteren Prognose hat der ehemalige OB Fischer bereits seit über sechs Jahrzehnten bedauerlicherweise rechtbehalten.

Am 24.2.1947 erhält Oberbürgermeister Fischer von der Reichsbahn Eisenach eine Mitteilung, „dass zwei Waggons mit Museumsgegenständen aus der Wartburg, Rüstungen etc. heute an die Kommandantur Merseburg abgefertigt werden“ (12).
Es existieren konkrete Hinweise darauf, dass im Juni 1948 ein weiterer Güterzug mit Museumsgegenständen des ehemaligen Rüstsaals der Wartburg in Begleitung des damaligen Eisenacher Amtsgerichtsrates Dr. Oskar Hesse seinen Weg in die Sowjetunion nahm. Derzeit laufen entsprechende Recherchen, um diesen Sachverhalt zu erhärten.

In den weiteren Nachkriegsjahren sollen der ehemalige Burgwart (1925-1946) und spätere Leiter der Wartburgstiftung (1946-1952) Prof. Hermann Nebe, sowie der damalige Direktor der Wartburgstiftung, Dr. Sigfried Asche (1952-1960), vorsichtige Versuche unternommen haben, um wenigstens Teile des Rüstsaals wieder zurückzuführen. Aber alle diese Versuche scheiterten bereits im Vorfeld durch die neuen Machthaber der DDR (13, 14).

Der zweite Tod des Rüstsaals der Wartburg

Während der Amtsperiode von Dr. Sigfried Asche wurden in den 50er Jahren neben der Bausicherung der Wartburg sowie der Restaurierung des Palas auch zahlreiche Umbauten an der Wartburg vorgenommen. Verbunden damit waren teils massive Eingriffe in die historische Substanz der Wartburg. Dies betraf auch die Dirnitz: die hohen spitzbögigen, dreigeteilten neogotischen Fenster mit den neun gemalten runden Scheiben aus dem 16. Jahrhundert wurden aus der Westwand des Gebäudes herausgerissen, die Wand zugemauert und kleinere Fenster eingesetzt. Desweiteren wurde in dem zweigeschossigen Rüstsaal in etwa halber Höhe eine Zwischendecke eingezogen. Der obere Raum wurde dem Wartburgmuseum angegliedert, im unteren so entstandenen Raum befindet sich heute ein Verkaufsraum für Wartburgdevotionalien und Eintrittskarten. Der ehemalige Rüstsaal war damit endgültig ausgelöscht worden, es war sein zweiter Tod.

Im Jahre 1990 erschien eine bemerkenswerte Schrift über die Rüstkammer der Wartburg in der Bearbeitung von Rosemarie Domagala, herausgegeben von der Wartburgstiftung Eisenach (15). Im Vorwort dazu brachte der damalige Direktor der Wartburgstiftung, Hans Matschke, seine euphorische Hoffnung zum Ausdruck, „dass es das Ziel sei, den Gästen der Wartburg eines Tages die Rüstsammlung an angestammter Stelle und in alter Pracht wieder präsentieren zu können“.

Sollte eines Tages tatsächlich diese alte Pracht wieder zurückgegeben werden, so würden die entsprechenden Verantwortlichen jedoch vor einem großen Problem stehen: Der ehemalige Rüstsaal müsste dann nämlich in seinen ursprünglichen Zustand wieder zurückgeführt werden, um die Rüstsammlung an ihrer angestammten Stelle präsentieren zu können.
Selbst wenn von Einigen der Mut und der Wille dazu aufgebracht würde, würde von Anderen erfahrungsgemäß das bekannte Klagelied über die fehlenden Geldmittel angestimmt werden. Somit kann der euphorischen Hoffnung von Hans Matschke kaum mehr zugestimmt werden. Ständige Bemühungen mit dem Ziel einer Repatriierung der Museumsgegenstände des Rüstsaales sollten jedoch beharrlich weiter verfolgt werden, denn sie erscheinen keinesfalls – auch trotz der Duma-Beschlüsse – als aussichtslos.
Nach der Vermutung des derzeitigen Direktors der Wartburgstiftung und Wartburgkommandanten, Günter Schuchardt, müssen die armen Ritter des Rüstsaals allerdings noch immer im Historischen Museum zu Moskau in „Kriegsgefangenschaft“ ausharren (16).

Die Suche nach den geraubten Museumsstücken geht weiter!

Anfang des Jahres 2011 wurden detaillierte Anfragen an die Bundesregierung wie auch an das Thüringische Hauptstaatsarchiv Weimar gerichtet, um den aktuellen Stand der Ermittlungen über den gegenwärtigen Standort der Wartburg-Beutekunst sowie den Stand der Deutsch-Russischen Konsultationen in Bezug auf Beutekunst in Erfahrung zu bringen.
In Weimar sollen die näheren Umstände geklärt werden, die zum Abtransport der Museumsgegenstände geführt haben.